Die Filmstarts-Kritik zu Sisu (2024)

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

Hyperstylisch und ultrabrutal! Der finnische Action-Geheimtipp „Sisu“ erscheint in Deutschland zwar fast parallel zu Netflix‘ Exploitation-Reißer „“, in dem es ebenfalls um Gold und Nazis geht – aber sobald sich der graubärtig-grummelige Goldsucher Aatami (Jorma Tommila) kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im skandinavischen Niemandsland durch ganze Horden von Nazis schnetzelt, fühlt man sich angesichts seiner die Grenzen zum Absurden regelrecht pulverisierenden Effektivität fast unweigerlich an die „John Wick“-Reihe erinnert.

Wobei Autor und RegisseurJalmari Helander das wahnwitzige Metzelfest sogar noch konsequenter auf die Spitze treibt – und damit meinen wir nicht den mythologischen Unterbau, der „John Wick: Kapitel 4“ auf eine unfassbare Länge von zwei Stunden und 50 Minuten anschwellen ließ. Stattdessen liefert „Sisu“ in fettlos-knackigen 91 Minuten eine ganze Kaskade an Kollisionen voller WTF-Momente zwischen mit MGs und Panzern ausgestatteten Nazi-Trupps und einem vermeintlich gebrechlichen, aber in Wahrheit unkaputtbaren Einsiedler. Dabei ist von Anfang an klar, dass die deutschen Invasoren in diesem ungleichen Duell nicht den Hauch einer Chance haben werden.

Die Filmstarts-Kritik zu Sisu (1)

Als Aatami (Jorma Tommila) endlich fündig wird, ist ihm klar – ihn und sein Gold wird nie wieder jemand trennen …

Nordfinnland im Jahr 1944: Die Nazis befinden sich auf dem Rückzug und verwenden dabei die Kriegstaktik der „Verbrannten Erde“. Das heißt, sie zerstören alles, was dem Gegner später noch irgendwie nützlich sein könnte. Dem greisen Einsiedler Aatami ist das alles allerdings herzlich egal. Zwar hat er früher auch mal bei der finnischen Armee gedient und sich im Kampf gegen die Russen gar einen regelrecht legendären Status erworben, doch inzwischen interessiert er sich nur noch für sein Goldschürfen. Selbst als er fündig wird und den gehobenen Schatz in die nahegelegene Stadt bringen will, stört es ihn kein bisschen, dass ihm auf der Straße Nazi-Panzer entgegengerollt kommen.

Zunächst sieht die vom Nazi-Schergen Bruno (Aksel Hennie) angeführte Einheit in dem heranreitenden Mann nur einen komischen Kauz, bei dem es kaum die Mühe wert ist, ihn am nächsten Laternenmast aufzuknüpfen. Aber diese Einschätzung ändert sich fundamental, als der rüstige Rentner nicht nur dem ersten halben Dutzend Soldaten den Garaus macht, sondern dabei auch klar wird, dass er in seinen Satteltaschen ein wahres Vermögen mit sich herumschleppt…

Was zum Teufel ist "Sisu"?

Ausgerechnet die Brigitte hat vor zwei Jahren einen Artikel mit der Überschrift „Sisu: Deshalb leben Finnen glücklicher“ veröffentlicht. Darin wird die folgende Definition angeführt: „Sisu beschreibt eine bestimmte innere Haltung, die sich durch ein entschlossenes und verantwortungsbewusstes Handeln auszeichnet.“ Nun hat Jalmari Helander „Sisu“ aber auch als Frustbewältigung gedreht, weil er bei seinem Samuel-L.-Jackson-Actioner „Big Game“ aufgrund des Drucks der Finanziers längst nicht so sehr aufdrehen durfte, wie er es sich eigentlich gewünscht hätte – und so steht am Anfang seines Films nun die folgende, weniger buddhistische Worterklärung: „‚Sisu‘ ist Finnisch und hat keine direkte Übersetzung, aber im Kern ist es eine gewaltige Kraft unaufhaltsamer Willensstärke, die sich dann entlädt, wenn es am nötigsten ist.

Ein Versprechen, das der Film mehr als einlöst. Die Actionchoreographien sind auf den Punkt, bis zum Anschlag und darüber hinaus brachial sowie schon in den ersten Minuten derart mit kompromisslos überhöht-brutalen (Gag-)Einfällen vollgestopft, dass man sich schnell fragt, was zum Teufel denn da jetzt noch kommen soll. Aber keine Sorge, das Gehirn von Jalmari Helander produziert offensichtlich genug kranke Ideen: Spätestens aus Disneys „Robin Hood“ kennen wir alle die Szene, in der sich der Held unter Wasser versteckt, indem er einen hohlen Strohhalm als Atemgerät benutzt. In „Sisu“ hat Aatami aber gerade keinen Strohhalm parat – und so trennt er eben kurzerhand ins Wasser gestürzten Nazis die Kehle auf, um ihnen durch ihre eigene Luftröhre den Atem auf den toten Lungen zu saugen.

Die Filmstarts-Kritik zu Sisu (2)

… da können sich dem Goldgräber noch so viele Nazi-Schergen in den Weg stellen!

Das ist das Level, auf dem der „Rare Exports“-Regisseur hier unterwegs ist. Aber nur absurd-brutale Einfälle machen natürlich noch lange keinen guten Film – es gibt schließlich zahllose Billig-Gore-Streifen, die zwar die Blutfontänen ebenfalls bis zum Anschlag öffnen, aber dann doch nur mit ihrer visuellen wie inszenatorischen Schäbigkeit nerven. Aber nicht so „Sisu“ – gerade was den postapokalyptischen Vibe des Verbrannte-Erde-Nordfinnlands angeht, haben die Macher*innen Unglaubliches aus ihrem sicherlich nicht allzu stolzen Budgets herausgeholt. Und das hat auch noch einen weiteren Vorteil:

Wenn Aatamis sich im Laufe des Films immer mehr zu einem übermenschlichen Rachegeist entwickelt, der in einer „Dr. Seltsam“/„Münchhausen“-Gedächtnisszene gar auf einer Bombe reitet, dann wird das in dieser schon allein durch die visuelle Gestaltung der zum Bersten mythisch aufgeladenen Umgebung nur logisch… So bleibt als Wermutstropfen vor allem der Umgang mit den Frauenfiguren: Zwar gönnt Jalmari Helander den offensichtlich auch für sexuelle Dienste gekidnappten Finninnen ebenfalls ihren großen Rachemoment – dabei blendet er aber im Gegensatz zu allen Szenen mit Aatamis erstaunlich früh weg, als hätte er hier plötzlich doch mal Angst vor der eigenen Courage bekommen. Da wäre im Sinne der Gleichberechtigung sogar ein bisschen weniger Fingerspitzengefühl angemessen gewesen…

Fazit: Was Adrenalinpegel und Härtegrad angeht, fängt „Sisu“ da an, wo die allermeisten Actionfilme aufhören! Obwohl schon die ersten Kampfszenen von „Nein, das trauen die sich jetzt nicht wirklich!“-Momenten durchzogen sind, ziehen Jalmari Helander und sein brachial-stoischer Hauptdarsteller Jorma Tommila die Wahnwitz-Schraube trotzdem konsequent immer weiter an, bis ihr Protagonist schließlich einen fast schon Rachegott-gleichen Status erlangt.

Wir haben „Sisu“ bei den Fantasy Filmfest Nights 2023 gesehen.

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